Organisationsentwicklung: Neverending Story?
Egal ob eine E-Commerce-Plattform ausgerollt, eine PIM-Software eingeführt oder das Marketing automatisiert wird: Fast jedes Digitalisierungsprojekt bewirkt Veränderung, also einen kleinen oder größeren Change. Nicht nur Customer Journeys und Technologien werden neu gedacht, sondern auch Zuständigkeiten und Prozesse, und Teams werden neu zusammengesetzt. Und jeder Mensch reagiert anders auf Veränderung.
Vielleicht kennen Sie das: Erleichterung macht sich breit in Belegschaft und Management, wenn ein Projekt erfolgreich abgeschlossen werden konnte. Das Add-on zum Tagesgeschäft, das Teams und Führungskräfte monatelang beschäftigte, ist „vorbei“ und trägt nun zur Wertschöpfung des Unternehmens bei. Aber was, wenn Veränderung niemals vorbei ist? Wenn Unternehmen in unserem dynamischen, komplexen, volatilen Umfeld lernen müssen, Weiterentwicklung und Wandel als langfristige Unternehmensaufgabe zu begreifen und Veränderungsfähigkeit als Kernkompetenz zu stärken?
Was verstehen wir unter systemischer Organisationsentwicklung?
Das zeitlose Verständnis von evolutionärer, kontinuierlicher Weiterentwicklung ist aktuell wichtiger denn je. Es geht nicht um das Erreichen eines finalen Zustands oder eines vorgegebenen Ergebnisses, sondern um Veränderung als Kompetenz, stetige Chance und Normalzustand an sich („embrace change“), wobei der Blick jeden einzelnen Menschen, Teams, aber auch die gesamte Organisation umfasst.
Neben dem begleitenden Change Management in Projekten braucht es deshalb die Einbettung von Veränderungskompetenz in das Gesamtsystem der Organisation. Nicht nur top down, wo Rahmenbedingungen wirken, sondern aus dem Inneren des Unternehmens heraus und durch größtmögliche Partizipation aller Beteiligten am Lernprozess.
Organisationsentwicklung ist systemisch, also ganzheitlich ausgerichtet und berücksichtigt personelle, kulturelle, strategische und technologische Faktoren, insbesondere die Wechselwirkungen zwischen den Systemelementen.
Säulen des systemischen Ansatzes in der Organisationsentwicklung
- Es gibt kein Weiß oder Schwarz: Die Beschreibung einer Situation ist mehr als kognitiver Erkenntnisgewinn und wird beeinflusst über unterschiedlichste subjektive „Kanäle“ wie beispielsweise Erfahrungen und Narrative. Es gibt daher oft so viele Sichtweisen wie Gedanken und Gefühle der Beteiligten.
- In der systemischen Organisationsentwicklung werden verschiedene Perspektiven wertschätzend betrachtet. Daher wird der Perspektivwechsel („Mehrbrillenprinzip“) aktiv gefördert.
- Perspektivwechsel ermöglichen einen größeren Blickwinkel auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Menschen. Das Bewusstsein für die Wahrnehmung von Situationen steigt und damit der Raum für Denken und Handeln. Alternative Muster werden zur Basis für neue Ideen, Verhaltensoptionen, Lernen und Veränderung.
- Systemische Organisationsentwicklung ist gestaltend und zielorientiert.
Ziele und Mehrwerte der Organisationsentwicklung
Ziel der Organisationsentwicklung ist es, die Leistungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit der Organisation – und damit die Wettbewerbsfähigkeit – nachhaltig sicherzustellen, gerade unter VUKA-Rahmenbedingungen.
Die Mehrwerte für lernende Organisationen sind vielfältig:
- Höhere Qualität der Arbeitsergebnisse
- Bessere Kosteneffizienz
- Mehr Umsatz und höhere Rendite
- Steigerung der Motivation
- Höhere Zufriedenheit im Team
- Geringere Personalfluktuation
- Steigerung der Innovationskraft
- Höhere Kundenzufriedenheit
Eine erfolgreiche Organisationsentwicklung nutzt allen Beteiligten. Nicht nur das Unternehmen profitiert, sondern auch Mitarbeitende, Geschäftspartner und Kund*innen.
Handlungsfelder der Organisationsentwicklung
Organisationsentwicklung betrachtet und integriert alle Ebenen und Bereiche des Unternehmens:
- Strategie
- Prozesse
- Mitarbeitende
- Führung
- Interne Beziehungen
- Kultur
- Struktur
Modelle der Organisationsentwicklung von Lewin bis Scharmer
Konzepte zur Organisationsentwicklung beschäftigen die Wirtschaft bereits seit Mitte des 20. Jahrhunderts und im Laufe der Jahrzehnte haben sich verschiedenste Modelle etabliert. Diese Modelle vereinfachen die komplexen Zusammenhänge und helfen, Phasen und Problemfelder von Veränderungsprozessen besser zu verstehen. Wir stellen zwei Modelle vor, die die heutige Sicht auf Organisationsentwicklung prägen: das 3-Phasen-Modell von Kurt Lewin und die „Theorie U“ von C. Otto Scharmer.
Das 3-Phasen-Modell von Kurt Lewin
Der als „3-Phasen-Modell“ bekannte Ansatz wurde 1947 von Kurt Lewin entwickelt – ursprünglich bezogen auf Veränderungen in gesellschaftlichen Gruppen, später häufig auch im Rahmen der Organisationsentwicklung eingesetzt. Der Sozialpsychologe ging davon aus, dass sich in Veränderungsprozessen zwei Kräfte gegenüberstehen: die antreibende Kraft, die Veränderungen befürwortet, und die widerstrebende Kraft, die den Status Quo erhalten möchte. Im Modell nach Lewin geht es darum, die „feindliche Haltung“ der Verweigerer durch Gruppendynamik in eine freundliche Haltung zu verändern.
- Phase 1: Auftauen (Unfreezing)
Der aktuelle Zustand des Systems wird Frage gestellt, die Notwendigkeit des Wandels deutlich gemacht und Hürden abgebaut, um die Bereitschaft zur Partizipation zu wecken. - Phase 2: Bewegung (Moving)
Die Veränderung vom alten zum neuen Zustand wird eng begleitet. Typisch ist ein übergangsweiser Abfall der Leistungskurve, bevor die Performance über das Ausgangsniveau ansteigt. - Phase 3: Einfrieren (Refreezing)
Die Neuerungen werden etabliert und verstetigt, damit der erreichte Zustand gehalten werden kann (bis dann irgendwann wieder eine Phase 1 folgt).
Source: Wikimedia Commons
Das Modell nach Lewin ist historisch bedeutsam, da es erstmals den menschlichen Faktor und die Gruppendynamik berücksichtigt. Eine Schwäche des Modells ist, dass es in heutigen VUKA-Umfeldern kaum noch eine Phase der Verfestigung gibt. Organisationen sind einem ständigen Veränderungsdruck ausgesetzt, so dass ein kontinuierlicher Entwicklungsdruck entsteht. Spätere Ansätze wie das 8-Stufen-Modell von John P. Kotter oder das 5-Stufen-Modell nach Krüger berücksichtigen diesen Aspekt, bauen aber ebenfalls auf der Arbeit von Lewin auf.
Die „Theorie U“ von C. Otto Scharmer
Wir ergänzen das Set moderner OE-Modelle durch die „Theorie U“ von C. Otto Scharmer. Der deutsche Aktionsforscher lehrt am Massachusetts Institute of Technology (MIT) und ist weltweit als Berater tätig. Frustriert über die hohe Quote scheiternder Veränderungsprozesse entwickelte er 2007 ein ganzheitliches Modell, das hilft, Neues von der Zukunft her zu denken. Das „Erspüren“ dieser Zukunft bezeichnet Scharmer als „Presencing“. Der kreative Prozess gleicht einem U: Auf der linken Seite geht es darum, nicht länger vorschnell auf Herausforderungen zu reagieren und alte Muster zu wiederholen. Auf der rechten Seite verdichten sich die Erkenntnisse und führen hin zum Prototyping, wie Neues gestaltet werden kann. Für mich ist der U-Prozess dabei weit mehr als ein Modell, er ist mein innerer Kompass in der Welt voller Veränderung.
Source: School of Facilitating
Von der Theorie zum Tun
Wie können Unternehmen mit diesen Modellen in der Praxis arbeiten? Wie lässt sich das Umdenken und Neudenken von Menschen in Organisationen anregen? Welche Rahmenbedingungen braucht es und welche Unterstützung kann externe Beratung und Begleitung leisten? Darüber erzähle ich mehr in meinen nächsten Blogartikeln!